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Volkstheater: Jan Philipp Gloger stellt Pläne vor Volkstheater: Jan Philipp Gloger stellt Pläne vor
Kultur

Volkstheater: Jan Philipp Gloger stellt Pläne vor

Der 43-Jährige will zum Amtsantritt im neuen Haus Optimismus versprühen. "Liebe zu Dramatik" als Markenzeichen.
W24 Redaktion
Montag, 12. Mai 2025
Verfasst am 12.05.2025 von W24 Redaktion

Am Montagvormittag stellte der neue Direktor des Volkstheater Wien, Jan Philipp Gloger, die Vorhaben für seine erste Saison vor. Im Interview mit der APA zeigt der 43-Jährige viel Optimismus und betont seine Liebe zur österreichischen Dramatik, wenngleich es in der Spielzeit 2025/26 hier noch manche Lücke gibt. Sein Ziel: das Publikum abholen und mit ihm gemeinsam Neuland entdecken. Und auf diesem Weg am besten gemeinsam lachen.

APA: Herr Gloger, wie schwer war es, für dieses Haus eine Vision zu entwickeln, und wie schwer war es, dafür dann Inhalte und Mitstreiter zu finden?

Jan Philipp Gloger: Das war herausfordernd, aber es war nicht erdenschwer. Es war ein lustvoller Prozess. Die Zeit war natürlich knapp. Oft hat man zwei Jahre Vorlauf, hier war es eins. Es war harte Arbeit mit ganz viel Freude - und es hat sich gelohnt.

APA: Gibt es so etwas wie ein Motto, eine Überschrift, ein Slogan für Ihre Intendanz?

Gloger: Für mich ist das neue Logo das Wichtigste: Ich mag sehr, dass es nur mit Wörtern auskommt, weil ich sehr über die Grundfaszination Sprache funktioniere. Diese zwei Wörter, Volk und Theater, werden dabei spielerisch miteinander in Beziehung gebracht: Das Theater mischt sich unters Volk, es umkreist es aber gewissermaßen auch, und bringt es vielleicht zusammen. Das ist die Vision: Man bringt ganz unterschiedliche Menschen zusammen.

"Theater für ganz unterschiedliche Menschen"

APA: Die ewige Diskussion beim Volkstheater lautet: Wer ist das Volk, das man ansprechen will?

Gloger: Das Volk sind die Menschen, die in dieser Stadt leben. Egal, woher sie kommen, welchen Aufenthaltsstatus sie haben, wie kurz oder lang sie hier sind und wie schnell sie vielleicht wieder weg sind. Ich möchte keine neue Debatte um den Begriff Volk - ich möchte ihn nur nicht den Rechten überlassen. Deswegen mache ich die Türen ganz weit auf und habe ein professionelles Vermittlungsprogramm, das sich auch um Communities kümmert. Wir machen Theater für ganz unterschiedliche Menschen.

APA: In Ihrem Spielzeitbuch stellen Sie gleich zu Beginn eine Frage an diese Menschen: "Spürst Dich noch?" Setzt das Volkstheater künftig auf Fühlen anstelle von Denken?

Gloger: Ich glaube, Theater ist immer dann spannend, wenn es beides beinhaltet: Wenn ich etwas emotional erlebe, und dazu aufgerufen bin, darüber zu reflektieren. Das ist ja das Tolle am Theater: Ich erlebe etwas - und gucke mir in derselben Sekunde dabei zu. Theater arbeitet mit offenen Mitteln: Ich lasse mich nicht einlullen, sondern merke, was mit mir geschieht. Dieses Doppelsinnige hat mir an dem Spruch gefallen. Er fragt auch danach: Sind wir noch Herren unserer Sinne in einer durchdrehenden Welt?

"Das Theater ist eine Gefühls-Analyse-Maschine."

APA: In Wien kennt man auch den Spruch "Spüds Euch ned!"

Gloger: Den müssen Sie mir erklären.

APA: Das kann als Drohung verstanden werden: Spielt Euch nicht, nehmt es nicht auf die leichte Schulter, sonst wird es wirklich ernst. Müsste nicht das Theater in einer Zeit, wo alles unernst erscheint und alles manipuliert wird, die so scharfsinnige wie -züngige Analyse bieten?

Gloger: Da bin ich voll bei Ihnen! Aber das Theater kann mir zeigen, wie ich zum Fühlen gebracht werde. Das Theater ist eine Gefühls-Analyse-Maschine. Aber die Gefühle müssen zuerst mit mir passieren, ehe ich sie verstehen kann. Diese Mischung aus Erleben und sich dabei Zugucken, das Feststellen "Krass, die Sonne geht auf!" und das Erkennen: "Ah, das ist ein Scheinwerfer!", ist ein anderes Erleben als das zunehmend manipulative Erleben in der Welt außerhalb des Theaters, wo mit verdeckten Mitteln gespielt wird. Die Chance des Theaters ist: sinnliche Aufklärung.

"Ein Haus, das Haltung bezieht"

APA: Das Volkstheater liegt geografisch wie größenmäßig im Umfeld von Burgtheater und Theater in der Josefstadt. Wie wollen Sie das Haus in diesem Spannungsfeld positionieren?

Gloger: Ich glaube, das Volkstheater kann ein junges Theater sein. Ich bin von den Leiterinnen und Leitern der größeren Wiener Häuser der Jüngste. Junge Menschen können uns Kraft, Offenheit und die Aura eines "Place to be" geben. Außerdem werden wir ein Haus sein, das Haltung bezieht - und zwar konkret in den Produktionen. Das wird sich gleich an den Stücken zur Eröffnung zeigen. Ich glaube, wir können uns von diesen Häusern auch am besten als Ensembletheater aufstellen - weil wir das mit Abstand kleinste Ensemble haben: 20 Leute. In der Josefstadt sind es knapp 50, am Burgtheater über 70. Wir können nur aus dieser Not eine Tugend machen. Diese Menschen sind das Herzstück des Hauses und der Rote Faden in einem Programm, das erst mal in alle Richtungen geht. Es sind auch Regiesprachen der jüngeren Generation.

Und dann gibt es Sachen, die mich persönlich interessieren. Dazu gehört das Lachen. Wir sind kein Komödienhaus, aber ein Haus, das das Zeitgenössische in Komik und Lachen sucht, das aber auch das Verbindende darin sucht. Wir gründen deshalb auch einen Komödienwettbewerb. Und dann ist das Volkstheater einfach auch ein Theater für die Stadt, die wir beispielsweise von der Traumnovelle bis zu einem Audio-Walk zur Obdachlosigkeit in Wien thematisieren.

"Eine super Mischung" im Ensemble

APA: Wie ist die Mischung in Ihrem Ensemble zustande gekommen?

Gloger: Ich finde, wir haben eine super Mischung: Sechs Leute sind geblieben, aus meinem engeren Arbeitskontext in Nürnberg kommen fünf, und neun kommen aus den unterschiedlichsten Zusammenhängen. Elf von den 20 haben in dieser Stadt gelebt oder leben hier. Sie können mir viel über diese Stadt erzählen. Wir haben 30 Prozent, die eine migrantische Familiengeschichte haben - das sind alles keine Quoten, aber ein Versuch, dass Menschen, die auf der Bühne stehen, mit den Menschen, die ihnen zuschauen oder zuschauen könnten, in Verbindung kommen.

APA: Wie haben Sie denn Johanna Wokalek und Sebastian Rudolph geködert, zu Ihnen ins Ensemble zu kommen?

Gloger: Johanna Wokalek hatte eine Inszenierung von mir gesehen, und wir waren in Kontakt. Der Weg vom Kontakt zum Ensemble waren mehrere ganz tolle Treffen, und auch zu Sebastian Rudolph gab es eine Verbindung. Und als Künstler:in ist es ja so: Wenn jemand mit mir ins Gespräch geht, mir total gut beschreiben kann, was er machen möchte und mir vermitteln kann, dass er genau mich meint, dann steige ich ein. Und dann ist jedes weitere Gespräch eine vertrauensbildende Maßnahme mehr.

Jura Soyfer "passt zum neuen Volkstheater"

APA: Sie beginnen mit drei Jura Soyfer-Stücken an einem Abend. Sein "Lied von der Erde" aus "Der Weltuntergang" beschreibt damals wie heute die Lage so herzzerreißend wie punktgenau: "Voll Hunger und voll Brot ist diese Erde, / Voll Leben und voll Tod ist diese Erde, / In Armut und in Reichtum grenzenlos". Sie haben auch den neuen Komödienpreis nach ihm benannt. Wie kamen Sie denn auf Soyfer?

Gloger: Ja, diese Liedtexte sind unheimlich stark! Ein Spieler, der jetzt dabei ist, Maximilian Pulst, hat an seiner Schule in Halle/Saale Jura Soyfer gespielt und hat mich schon vor Jahren auf seine Texte aufmerksam gemacht. Bei österreichischen Autor:innen guck ich immer besonders hin, das lässt sich auch in meiner Bio ablesen: Köck, Handke, Jelinek, Horváth, Schnitzler und so weiter. Da gibt es eine Affinität. Soyfer ist jemand, der unglaublich gut die Krisen seiner Zeit beschreiben kann und dadurch zeigt, dass sie fatalerweise auch die Krisen unserer Zeit sind - was uns erschrecken und mobilisieren muss. Diese Texte erlauben, Haltung zu entwickeln. Gleichzeitig haben sie etwas Wildwüchsiges und Anarchisches. Gerade der Liedtext, den Sie zitiert haben, zeigt, dass Soyfer auch Hoffnung und Optimismus hatte. Diese Vitalität wurde brutal gekappt. Mit 26 wurde er in Buchenwald umgebracht. Das schnürt einem die Kehle zu. Ich dachte: Ein Österreicher, der Haltung bezieht und dem das Lachen leicht fällt - der passt zum neuen Volkstheater.

APA: Im ersten Jahr vermisst man zwei Dinge: Zeitgenössische österreichische Dramatik - und das klassische Wiener Volkstheater von Nestroy und Raimund.

Gloger: Das sind beides Sachen, die ich auch spannend finde. Es stimmt, dass die vorerst fehlen - aber dafür haben wir den Roman "Halbe Leben", Horváths "Geschichten aus dem Wiener Wald", Joseph Roth, Michael Haneke und einige andere.

Etwas erleben, "was ich noch nicht kannte"

APA: Bei der Bezirkstournee des Volkstheaters hat Kay Voges zunächst etwas Neues probiert und musste dann zurückrudern. Wie gehen Sie da heran?

Gloger: Mit einem guten Teil Weitermachen und einem guten Teil Verändern. Das Rad neu erfinden muss man nicht. Die Bezirke sind ein begeisterndes Instrument, über soziale Grenzen, die es in Wien natürlich gibt, zu gehen. Das wird erst einmal mit zugänglichen, klaren Geschichten und griffigem Theater passieren. Zusätzlich ist es gut, dort auch Nachgespräche und Partys anzubieten und einen internationalen Schreibworkshop. Wir wollen noch einmal deutlicher auf die Menschen, die da leben, zugehen. Ich liebe diese Spielstätten, die mich teilweise auch an meine Heimat erinnern, das Ruhrgebiet, und ich werde auch selbst gleich in der ersten Saison in den Bezirken inszenieren.

APA: Was sollen die Menschen nach Ihrer ersten Saison über das neue Volkstheater sagen?

Gloger: Vielleicht: "Ich habe etwas im neuen Volkstheater erlebt oder erfahren, was ich an mir oder der Welt noch nicht kannte." Ich mag es, wenn sich ein Publikum abgeholt und woanders hin mitgenommen fühlt. Ich glaube, dass das ein Potenzial des Theaters ist.

(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)

ZUR PERSON: Jan Philipp Gloger wurde im Dezember 1981 in Hagen geboren und studierte Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen und Regie an der Zürcher Hochschule der Künste. Als freischaffender Regisseur inszenierte er u. a. am Residenztheater in München, am Deutschen Theater und an der Schaubühne in Berlin sowie in Mainz, wo er 2011 bis 2013 Leitender Regisseur im Schauspiel war. 2018 wurde er Schauspieldirektor des Staatstheaters Nürnberg. In Wien inszenierte er bisher etwa an der Volksoper ("Die Dubarry", 2022 und "Im weißen Rössl", 2024) sowie am Burgtheater ("Die Nebenwirkungen", 2023). Mit der Saison 2025/26 folgt er Kay Voges als Direktor des Volkstheaters. (APA/Red)

Bild: Konrad Fersterer