Wenn von Journalismus die Rede ist, entstehen vor unserem geistigen Auge meist Bilder aus hektischen Newsrooms. Der Reporter Max Winter meinte dazu aber schon vor mehr als 100 Jahren: „Die ungesündeste Luft für den Berichterstatter ist die Redaktionsluft“. Das pralle Leben, findet draußen statt. Winter galt als einer der Erfinder der Sozialreportage. In hunderten hatte er das Leben und das Elend der Menschen vor und nach dem ersten Weltkrieg beschrieben: der Ziegelarbeiter am Wienerberg oder der Zehntausenden Obdachlosen und Hungerkünstler in der Vorstadt. Dieser sozialkritische Wiener Zeitungsjournalismus galt für den gesamten deutschen Sprachraum als vorbildlich - bis zu dessen Verbot im Faschismus. Heute erlebt die Sozialreportage auf vielen Kanälen eine Renaissance – mit aufmerksamen Beobachtungen in Gerichtssaal, der Katastrophenzone, auf Fluchtrouten und doch wieder Elendsquartieren. Sozialreportagen gibt es jetzt aber auch online, im Radio, als Podcast und TVBewegtbild. Was treibt deren Gestalter*innen an? Welches Selbstverständnis von Journalismus steht dahinter? Was will und was kann die Sozialreportage im 21. Jahrhundert leisten?

Nach 2000 waren uns Töne ganz nahe zuleibe gerückt: Das coole iPod von Apple kam in seiner Mini- Version auf den US-Markt und war bald auch bei uns ins Ohr gestöpselt. Das war eine technische Grundlage von Podcasts. – Podcast, das ist ja ein Mischwort aus iPod und Broadcast. Thematisch aufgeladen mit Musik, Literatur, Tratsch, Kriminalgeschichten. Gehört werden sie in allen Lebenslagen: am liebsten bei Autofahrten, in Öffis und bei der Hausarbeit. Große englischsprachige Medien wie die New York Times in den USA oder der Guardian in Großbritannien brachten schon vor knapp 20 Jahren ihre ersten journalistischen Podcasts online. Über Österreich ist eine große Welle erst in den vergangenen Jahren geschwappt. Heute hört hierzulande ein Drittel der Menschen im Land regelmäßig Podcasts, jeder zweite unter 30 Jahren. Hat dabei neuer Journalismus in unser aller Ohr Zukunft? Wer hat im Wettbewerb um die Hörer eine Chance auf ein eigenes Publikum? Und: Können professionelle Podcaster von ihren Produktionen leben?

Die Wiener und Wienerinnen kennen ihr Grätzl. Wo das Leben nebenan pulsiert, wollen wir uns natürlich besonders gut auskennen. Gerade, weil wir in Zeiten von Internet und Globalisierung mehr denn je über die Weltereignisse erfahren, wollen wir die Auswirkungen auf unsere nächste Umgebung umso genauer verstehen. Lokalnachrichten wurden schon ab Erfindung des Buchdrucks auf Flugblättern verbreitet. Laut jüngstem Journalismus-Report berichten heute etwa ein Drittel aller Journalisten in Wien zu regionalen und lokalen Themen: von Fußballbegeisterung in der Unterliga bis Ärger über die Sperre der Parallelstraße, von köstlichen Neuigkeiten zur Kulinarik im Grätzl bis zu Reportagen zum Brandunglück um die Ecke. Lokaljournalismus ist der Kitt, der die Kommunen zusammenhält, hieß es immer. Aber braucht es ihn auch noch, wenn wir uns auf Social Media ohnehin alles längst gegenseitig erzählen? Hat Lokaljournalismus Zukunft und neue Formate und Ideen auch in Wien?

Journalismus ist in Österreich ein freier Beruf. Für rund 5.300 Menschen, so zählte das der letzte nationale Journalismus-Report, ist es der Lebenserwerb. Sie arbeiten in einigen großen und sehr vielen kleinen Redaktionen, Hunderte auch freiberuflich. Sie beliefern mit ihren Geschichten Zeitungen und Magazine, Radio, TV und Onlineplattformen. Theoretisch brauchen sie dafür gar keine Ausbildung. In der Praxis aber ist der Berufseinstieg recht aufwändig über viele Lehrjahre in Theorie und Praxis, in Fachhochschul-Lehrgängen und Universitäten, Medienakademien, Volontariaten und Praktika in den größten Redaktionen des Landes. Journalistische Massenmedien, so heißt es dann traditionell, repräsentieren die vierte Gewalt, weil sie informieren und unterhalten nicht nur. Sie vertreten auch die Interessen des Publikums, formulieren politische Fragen und kontrollieren die Mächtigen. Aber stimmt das so noch? In digitalen Zeiten kann jeder User doch selbst ein Producer auf vielen Kanälen sein. Welchen Unterschied macht dann Journalismus als Profession? Und: Welchen Werten fühlen sich Journalist:innen heutzutage verpflichtet?

Stadtspaziergänge zeigen es oft schon beim aufmerksamen Hinsehen: Wien ist eine Stadt der Vielfalt: der Generationen, der Berufe, der Geschlechter, mit Herkunft von vielen Orten und unterschiedlichen Ausbildungen und Überzeugungen. Guter Journalismus repräsentiert alle diese Bevölkerungsgruppen. Aber tut er das tatsächlich? Fast 40% der Wiener Bevölkerung hat Wurzeln im Ausland, aber nur 12 % der Journalist:innen. Das sind dann meist Deutsche. Journalist:innen sind im Durchschnitt älter als die Menschen in anderen Berufsgruppen, nur jeder Zehnte ist unter 30 Jahre alt. Menschen mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen haben es dann besonders schwer in Redaktionen anzudocken. Und obwohl jede Zweite im Newsroom weiblich ist, machen viel weniger Frauen als Männer in Medien Karriere. Versteht dieser Journalismus dann die Lebenswirklichkeit seines Publikums? Das fragen sich auch viele Medienmacher in Wien: Wie lässt sich verändern, dass in den Redaktionen hauptsächlich Menschen mittleren Alters aus dem etablierten Bürgertum sitzen? Wie kommt mehr Vielfalt in unsere Medienwelt?

Facebook, Youtube, Instagram, Whatsapp und manche Socialmedia-Angebote mehr. Für Menschen unter 25 Jahren sind sie die wichtigsten Nachrichtenkanäle. Die Apps der Wahl spielen die News aus und immer mehr Podcasts finden ein Ohr. Für ihre tägliche Information nutzen immer mehr Menschen in Österreich digitale Medien. Die traditionellen Nachrichtenkanäle sind nur noch bei der älteren Generation stark. Aber auch 60+ ist immer mehr im Internet. Cross-Media heißt das Schlagwort.